5 3-2016 systematisches schule ist, wie dies konrad ehlich und jochen rehbein in ihrem immer noch sehr lesenswerten buch „muster und institution“ (1986) formuliert haben, eine „versprachlichte institution“. dies bedeutet, dass nahezu alles, was in der schule komprimiert vermittelt wird, nämlich die problem- lösungen, die eine gesellschaft für wissenswert erachtet, sprachlich geschieht. dass es sich dabei um lösungen für probleme handelt, die die schü- ler nicht haben – etwa die berechnung der länge der hypotenuse eines rechtwinkligen dreiecks – gehört zu den unauflösbaren widersprüchen der institution selbst. es ist die schule, in der sich wesentliche schritte der kindlichen und jugend- lichen begriffsbildung vollziehen – vollziehen sollen. man würde meinen, dass das medium, in dem dies geschieht, nämlich die sprache, dem- zufolge in ihrer differenziertheit und komplexität zentrale aufmerksamkeit erführe. was würde das bedeuten? zuallererst einmal zu erkennen, dass sprache – wie karl bühler (1934) es formuliert hat – organon ist, das heißt, ein instrument, mit dem ein sprecher an einem hörer handelt. sich mit sprache zu befassen, hieße, die sprachlichen mittel bezüglich ihrer funktionalität, ihres werk- zeugcharakters, ernstzunehmen und ins verhält- nis zu demjenigen zu setzen, was ein sprecher an einem hörer, ein autor bei seinem leser erreichen will, nämlich den zwecken. ich betrachte nun drei beispiele, die in ihrer struk- tur repräsentativ sind für dasjenige, worum es mir hier geht. ein aufsatz des sprachwissenschaftlers willy grießhaber beginnt mit folgendem satz: „eigentlich ist die überlegung ganz naheliegend: der fremdsprachunterricht funktioniert dann am besten, wenn er berücksichtigt, wie man „na- türlich“, ohne unterricht, fremdsprachen lernt.“ (2001, 17) wennichmeinestudierendenfrage,wasgrießha- ber hier sagt, antworten sie, dass grießhaber der auffassung ist, der fremdsprachenunterricht solle sich am natürlichen spracherwerb orien- tieren. das eigentlich wird übersehen. was wird eigentlich damit übersehen, dass das eigentlich hier übersehen wird? es wird übersehen, dass grießhaber mit diesem satz kein wissen über- mitteln, sondern eine common-sense-auffassung anführen möchte, um sie dann zu widerlegen. das eigentlich kommuniziert: ich, grießhaber, sage jetzt etwas, von dem viele glauben, es läge auf der hand, was aber nicht richtig ist. indem die studierenden hier das eigentlich übersehen, übersehen sie die sprachliche handlungsqualität dieses satzes, die gerade nicht in der wissens- weitergabe, sondern in der infragestellung eines scheinbar sicheren wissens besteht. sie überse- hen die sprachliche handlungsqualität, dasjeni- ge, was in der sprachwissenschaft mit illokution bezeichnet wird. ich spiegle nun diesen befund an einem ausschnitt aus einer studentischen seminararbeit. „die teilung der arbeit in einen theoretischen und empirischen teil soll dazu dienen, dass zunächst eine zusammenfassung von forschungsergebnis- sen erfolgt. diese dienen als anschließende grund- lage für die analyse von einem lehrwerk […]. somit soll in dieser hausarbeit eine lehrwerksana- lyse unter berücksichtigung von ergebnissen der fremdsprachenforschung durchgeführt werden.“ der autor versucht hier, einen überblick über den aufbau seiner arbeit zu geben. er sagt, dass erst einmal forschungsergebnisse zusammengefasst und dann für die analyse eines lehrwerks frucht- bar gemacht werden sollen. er fährt dann fort: so- mit soll in dieser hausarbeit eine lehrwerksanalyse etc. durchgeführt werden. der ausdruck somit, ein – wie jochen rehbein es nennt – zusammengesetztes verweiswort (1995), zeigt mit so auf einen aspekt des vorhergehenden und verknüpft diesen über die präposition mit mit dem anschließenden. der ort dieses ausdrucks ist das schließen, die schlussfolgerung – was na- türlich auch eine illokution ist. wo ein überblick über den aufbau, die struktur eines textes gege- ben wird, gibt es aber nichts schlusszufolgern. sie können sich nicht vorstellen, in wie vielen studen- tischen seminararbeiten und qualifikationsschrif- ten solche ausdrücke völlig sinnlos in der gegend herumstehen. gabriele graefen hat konnektoren, zu denen somit gehört, als „spuren des denkens“ bezeichnet (2001). als dozenten stellen wir fest, dass studierende ständig bemüht sind, solche spu- ren genau dort zu legen, wo weit und breit nichts gedacht wurde. mein letztes beispiel betrifft die sprachlichen strukturen selbst. derselbe autor schreibt an einer anderen stelle: „das ausgewählte lehrwerk wird hinsichtlich sei- ner vermittlung zur syntax untersucht.“ wenn man davon absieht, dass lehrwerke weder vermittlung haben noch durchführen – die studen- tischen irrfahrten durch den nominalstil sind legi- on – ist auch noch die formulierung vermittlung zur syntax auffällig. hier zeigt sich eine große un- sicherheit – wenn nicht sogar unfähigkeit – zum gebrauch von präpositionen. ich konstatiere dies hier nur mal kurz und fasse die befunde aus den drei beispielen zusammen: die unfähigkeit, argumentative strukturen – und damit illokutionen – in texten zu erkennen, geht mit der unfähigkeit einher, die sprachlichen mit- tel, die mit argumentativen strukturen einher- gehen, funktional adäquat einzusetzen. ferner bestehen bereits schwierigkeiten im sprachlichen elementarbereich, nämlich im bereich der präpo- sitionen. hier stellt sich nun die frage: lernen die kinder und jugendlichen solche dinge heutzuta- ge nicht mehr in der schule? zur beantwortung dieser frage unterziehe ich nun im nächsten teil meines vortrags, der mit „analytisches“ überschrieben ist, die bildungs- standards im fach deutsch für den primarbereich, wie sie 2004 von der kultusministerkonferenz beschlossen worden sind, einer exemplarischen analyse. analytisches zunächst einmal ist festzustellen, dass in den bil- dungsstandards für das fach deutsch im bereich „sprache und sprachgebrauch reflektieren“ nur für die primarstufe, nicht aber für die allgemeine hochschulreife auf konkrete sprachliche struktu- ren bezug genommen wird. in den bildungsstan- dards für das fach deutsch für die allgemeine hochschulreife heißt es lediglich, dass die schüler in der lage sein sollen, „sprachliche strukturen und bedeutungen auf der basis eines gesicherten grammatikwissens und semantischer kategorien [zu] erläutern“ (2012, 20). ich übersetze das mal ins deutsche: die schüler sollen in der lage sein, zu sagen, das ist subjekt, das ist objekt, dies aber lediglich sozusagen botanisierend, als klassifika- torischer selbstzweck, ohne bezug auf die funk- tionen und ohne jeglichen gedanken an zwecke. hier zeigt sich, bei den autoren der bildungsstan- dards für die allgemeine hochschulreife, ein ganz bestimmtes verständnis von sprachlichen struk- turen, das sich in den bildungsstandards für den primarbereich konkretisiert. dort, also in den bildungsstandards für die primar- stufe, wird unter anderem als konkrete anforde- rung formuliert, dass die kinder die „beziehung zwischen absicht – sprachlichen merkmalen – wirkungen untersuchen“ (kmk 2004, 13) sollen. was heißt das? nun, das heißt doch, an der weise, in der sich jemand sprachlich äußert, feststellen zu können, was derjenige bei einem erreichen will. dies ist un- gemein wichtig und es ist sehr zu begrüßen, dass dies in den bildungsstandards ausdrücklich festge- legt ist. die kinder sollen also – anhand der weise, in der sich jemand äußert –, feststellen können, ob derjenige etwa – ihnen ein wissen übermitteln will; – ein wissen von ihnen haben will; – will, dass sie etwas für ihn tun; – will, dass sie ihm verzeihen; – will, dass sie sich vor etwas in acht nehmen etc. die kinder sollen also – an der weise, in der sich jemand äußert, – erkennen, ob derjenige mit sei- ner äußerung – eine assertion (wissensübermittlung); – eine frage; – eine aufforderung oder eine bitte; – eine entschuldigung; – eine warnung vollzieht. hier geht es, sie ahnen es schon, um die – äußerst wichtige – fähigkeit des erkennens der handlungsqualität sprachlicher handlungen, der illokution. —