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ProPhil_15_04

6 4-2015 Bildungspolitik: Zur Diskussion Starke stärken Wie Schule begabte Kinder mit offenen Unterrichtsformen fördern kann von Susanne Lin-Klitzing An vielen Schulen, insbesondere an Grundschulen und Gymnasien, gibt es mittlerweile gute Angebo- te für die Förderung begabter Schüler/-innen. Wie die Integration von Formen „Offenen Unterrichts“ in den „Normalunterricht“ für Begabte gelingen kann, hat das Deutschhausgymnasium (DHG) in Würzburg vorgemacht. Am DHG wird ein besonde- res Förderkonzept für hochbegabte Schüler/-innen in ein staatliches Regelgymnasium gegossen, in dessen Mittelpunkt der einzelne Schüler/die einzel- ne Schülerin und seine/ihre Persönlichkeitsbildung stehen. Praktiziert wird ein „multipler Unterricht“, in dem sowohl gemeinsamer Unterricht als auch „offener“, projektorientierter Unterricht und ins- titutionalisiertes Selbstlernen stattfinden. Damit kann in arbeitsteiliger Gruppenarbeit, in freier Ma- terialarbeit/ Freiarbeit, im Stationenlernen, in der Wochenplanarbeit, in individueller Recherche- und Dokumentationstätigkeit im Rahmen einer „Ge- samtchoreografie des Unterrichts“ Lernen individu- alisiert und differenziert werden. Das Wissen wird durch herkömmliche Methoden, aber auch durch Präsentationen, Dokumentationen, Anwendungsprodukte, Portfolien oder Kolloquien und spezifische Lernverträge geprüft. Über die Si- cherung von Basiswissen hinaus sollen begabte Schüler/-innen so lernen, interessengesteuert eige- ne Ziele zu formulieren, eigenverantwortliches Ler- nen einzuüben und eine dementsprechende Selbst- kontrolle zu entwickeln (vgl. Hackl 2008). In diesen multiplen Unterricht sind „klassische“ Formen „of- fenen Unterrichts“ integriert, die Selbststeuerung und Selbsttätigkeit der Schülern/-innen stärken. OFFENER UNTERRICHT BEREICHERT Die „Bewegung Offener Unterricht“, historisch unter anderem durch reformpädagogische Schulen zwischen 1890 und 1930 begründet, hat Unter- richt „immer schon“ am Kind ausgerichtet und hat über verschiedene Phasen hinweg bis heute unter- richtsmethodische Impulse hervorgebracht, die sich stärker am einzelnen Kind und seinen individuellen Fähigkeiten als an der Organisation des „Ganz- klassenunterrichts“ orientieren. Durch „offene Un- terrichtsformen“ soll im Unterricht schüleraktives, selbst reguliertes und ein zunehmendes Maß an selbst gesteuertem Lernen für die Schüler/Schülerin- nen ermöglicht werden. „Offener Unterricht“ lässt sich seit den 1990er-Jahren als zeitlich, methodisch und inhaltlich „geöffneter“ Unterricht beschreiben. Wahlmöglichkeiten sollen den Schülern/Schülerin- nen differenziertes, individualisiertes sowie koope- ratives Lernen ermöglichen. „Offener Unterricht“ ist sowohl fachübergreifend organisiert als auch fach- spezifisch und/ oder exemplarisch orientiert (vgl. Lin-Klitzing 2011). Dies kann zum Beispiel im Plan- spiel, im Projekt, in der Freiarbeit gut umgesetzt werden, da hier die Fähigkeiten der Schüler/-innen, ihre eigenen Aktivitäten zu planen, auszuwählen, diese allein oder mit Partnern durchzuführen und abzuschließen, besonders gut entwickelt werden können (vgl. Reiß/Reiß 1992: 16). Diese Ziele wurden beispielsweise auch in einem Schulentwicklungsprojekt in der deutschsprachigen Schweiz, im Konzept der „Erweiterten Lehr- und Lernformen“ (ELF), angestrebt. Hier ging es dar- um, „den Selbststeuerungsgrad der Lernenden im Vergleich zum traditionellen Unterricht durch ver- mehrte Wahlmöglichkeiten zu erhöhen“, die „Ad- aptivität des Unterrichts“ zu verbessern, „Lernkom- petenzen durch Maßnahmen zur Unterstützung der Reflexion des eigenen Lern-, Arbeits- und Kommu- nikationsverhaltens“ bewusst und aktiv zu fördern und „die Eigenaktivität der Lernenden zu erhöhen“ (Pauli/Reusser/Waldis/Grob 2003: 294). Wichtige Qualitätsmerkmale von gutem Unterricht wie Klar- heit, Strukturiertheit und gute Klassenführung kön- nen und sollen auch in einem schülerzentrierten, offenen Unterricht realisiert werden. Es geht beim „Offenen Unterricht“ um eine Of- fenheit gegenüber den Inhalten beziehungsweise Lerngegenständen, gegenüber den Unterrichts- und Sozialformen sowie um eine Offenheit, in welchen Zeiten und Räumen gearbeitet wird. In allen diesen Dimensionen haben die Schüler/-innen die für den „Offenen Unterricht“ charakteristischen Wahlmög- lichkeiten, die ihnen beispielsweise in der Freiarbeit eröffnet werden. „Offener Unterricht“ wird heute überwiegend als „Teil eines unterrichtlichen Ge- samtarrangements“ gesehen, der „nur einen Stel- lenwert im Rahmen einer ‚Gesamtchoreografie‘ des Unterrichts“ habe (Gudjons 2004: 8). Dies ent- spricht schon den Empfehlungen von F. E. Weinert (2000), der als Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer formuliert hatte, sowohl traditionelle „direk- te Unterweisung“ als auch „Offenen Unterricht“, Projekt- und Teamarbeit sowie individualisiertes, selbstständiges Lernen zu realisieren, um jeweils unterschiedliche Kompetenzen der Schüler/-innen zu fördern. LEISTUNGSSTARKE PROFITIEREN Bisher kann für die Wirksamkeit „Offenen Un- terrichts“ beziehungsweise „offener Unterrichts- formen“ gesagt werden, dass nach Uhl (1996), Gruehn (2000) und Bohl (2000) leistungsstärkere Schüler in kognitiver Hinsicht stärker von „Offenem Unterricht“ profitieren als leistungsschwächere Schüler/-innen. Hartinger (2002) untersuchte die Wirkung verschiedener Formen der Öffnung von Unterricht auf das Selbstbestimmungsempfinden von Grundschulkindern und kommt unter anderem zum Ergebnis, dass sich die Schüler/-innen durch die Mitbestimmung verschiedener Elemente des Unter- richts tatsächlich als selbstbestimmter empfinden. Aus Sicht von befragten Lehrenden kommt Jürgens in seiner Studie schriftlich befragter Lehrkräfte an Grundschulen und der Sekundarstufe I zur Praxis der Freiarbeit zu dem Ergebnis, dass diese die klas- sische offene Unterrichtsform der Freiarbeit „als die effektivere Unterrichtsform im Vergleich zum traditionellen direktiven Unterricht“ beurteilen, die „gute Ansatzpunkte zur Leistungsdifferenzierung“ und „sowohl für die LehrerInnen als auch für die SchülerInnen eine angenehme und anregende Ar- beitsatmosphäre“ biete (Jürgens 1998: 331). Die Wirksamkeit kooperativen Lernens als einer unterrichtsmethodischen Variante gruppenunter- richtlichen Arbeitens ist insbesondere im US-ameri- kanischen Raum gut untersucht, und entsprechende Studien (Slavin 1993 ff.) „belegen eine signifikante Überlegenheit kooperativer Lernformen gegenüber traditionellen bzw. kompetitiv angelegten Unter- richtsmethoden“ (Gruehn 2000: 49). Im Rahmen einer Meta-Analyse hatte Slavin (1996) die Leis- tungsmaße von Schülern/Schülerinnen, die in ver- schiedenen Formen kooperativen Lernens und „her- kömmlich“ unterrichtet wurden, verglichen und stellte höhere Leistungsmaße für die Schüler/-innen fest, die in den kooperativen Formen Gruppenral- lye, Gruppenturnier und Gruppenpuzzle unterrichtet wurden. BILDUNG DER PERSÖNLICHKEIT DIENT DEM GEMEINWOHL Den Weg in die Schulgesetze haben die individu- elle Förderung und die Begabtenförderung erfreu- licherweise bereits gefunden, wenngleich bildungs- politisch und unterrichtspraktisch nach den ersten PISA-Ergebnissen insbesondere die Förderung be- nachteiligter Schüler/-innen im Vordergrund stand. Die Schule als gesellschaftliche Institution über- nimmt Aufgaben für den Staat beziehungsweise für das Individuum. Für die Gesellschaft übernimmt die Schule dabei die Funktion der „Reproduktion“: Mit der Erziehung und Bildung der Schüler/-innen in der Schule soll die Gesellschaft mindestens auf dem jeweils aktuellen Stand ihrer Entwicklung reprodu- ziert, im besten Falle weiterentwickelt werden. Im Rahmen der individuellen Funktionen für das Indivi- duum soll die Schule gleichzeitig zu einer umfassen- den Persönlichkeitsbildung beitragen. In den Schulgesetzen der Länder finden sich daher auch für die individuelle Förderung begabter Schü- ler/-innen entsprechende Grundlagen – im Rahmen der staatlichen Verantwortung für das Schulwesen, die grundgesetzlich in den Artikeln 7, 20 und 30 niedergelegt ist. Hier soll nur exemplarisch auf die schulgesetzliche Regelung des Landes Niedersach- sen hingewiesen werden, ähnliche Festlegungen finden sich in den Schulgesetzen anderer Bundes- 64-2015

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