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ProPhil_16_02

7 2-2016 Auch dass die Hohepriester das Geheimnis der Aufgaben hüten, hat seine re- ale Entsprechung darin, dass auch nach 17 Jahren nur ein Teil der TIMSS-Auf- gaben veröffentlicht ist. Dass künftige Testpersonen die alten Aufgaben nicht vorher kennen dürfen, ist eine fadenscheinige Begründung, denn welcher Schüler würde sich wohl intensiv auf einen (anonymen und nicht benoteten) Test, ggfs. unter anderem Namen als TIMSS, vorbereiten wollen, wenn die Aufgaben irgendwo in älteren wissenschaftlichen Zeitschriften stehen? Zu dem „Märchenhaften“ der voruniversitären Mathematik gehört eben auch, dass diese Aufgaben selbst in der didaktischen Fachwelt kaum bekannt zu sein scheinen, obwohl sich fast alle auf TIMSS berufen. Vollmundig wird dieser TIMSS-Test angepriesen. Dazu ein Zitat aus dem TIMSS-Berichtvii von Seite 10: „AnfolgendenDimensionendesLiteracy-KonzeptssolltesichderTIMSS-Grund- bildungstest orientieren: – Betonung zentraler theoretischer Konzepte, – Einschränkung der stofflichen Breite zugunsten der Möglichkeit, in einzel- nen Gebieten tieferes Verständnis zu erreichen, – Verstärkung fachübergreifender und fächerverbindender Ansätze, – Betonung des selbständigen mathematischen und naturwissenschaftli- chen Handelns und Kommunizierens.“ Das liest sich so ähnlich wie das übliche „Blabla“ in Bildungszielen: Mathe- matisches Handeln und Kommunizieren statt logisches Denken und konkrete Kenntnisse. Sehen wir nach, was von den „zentralen theoretischen Konzep- ten“ und dem „tieferen Verständnis“ zu halten ist. Hier zunächst einige der „grundlegenden“ Aufgaben. Die Nummerierung ist aus dem TIMSS-Bericht übernommen.  Aufgaben des TIMSS-Grundbildungstests D9. Ein Kaufhaus bietet im Sonderangebot „20 % Ermäßigung“ an. Der nor- male Preis einer Stereoanlage beträgt 1.250 DM. Wieviel kostet die Stereoan- lage, nachdem 20 % Rabatt gegeben wurde? Damit die Schüler der Abschlussklassen der Sekundarstufe II nicht überfordert wurden, war erstens ein nicht grafikfähiger Taschenrechner zugelassen, und zweitens waren als Multiple-Choice vier Antworten angeboten, wie in bekann- ten Quiz-Spielen im Fernsehen. Die genannten Preise waren 1.000, 1.050, 1.230 und 1.500 DM. Das ist eine praktische, aber vollkommen anspruchslose Rechnung, auch geeignet für die Haupt- und Realschule. Und in diesem Stil geht es weiter. A12 ist ein einfacher Dreisatz: Hier muss man nur die beiden Jahresmieten „Monatsmiete mal 12“ des einen Angebots mit „Quadratmetermiete mal Zahl der Quadratmeter“ des anderen vergleichen und entscheiden, welche Zahl kleiner ist. Dies ist eine sehr praktische Aufgabe aus dem realen Leben, aber für Abiturienten doch höchst fragwürdig.viii Gerade diese Aufgabe wird nun von Baumertix als „Markieritem der Kompetenzstufe III“ bezeichnet, und es wird zum Schwierigkeitsgrad gesagt, diese Aufgabe „erfordert eine mehr- schrittige Modellierung“. Man darf sich darüber wohl wundern. In der Sprache von Didaktikern gilt heutzutage ja nahezu jede Rechenaufgabe in der Grund- schule mit einem Sachkontext schon als „mathematische Modellierung“x aber hier ging es um einen Test für die obersten Klassen der Sek. II, also praktisch erwachsene Leute. Darf man denen nicht auch mal mehrere Schritte zumuten? Und was bitte wird hier eigentlich modelliert? Es wird eine Miete ausgerech- net. Kaum etwas könnte Fehlentwicklungen in unserem höheren Bildungswe- sen besser beschreiben als die Tatsache, dass Prof. Baumert – Direktor eines Max-Planck-Instituts und gewiss ein sehr kluger Mann – diese praktische Rechenaufgabe, die man zumindest früher an der Hauptschule hätte stellen können, als „mehrschrittige Modellierungsaufgabe der Kompetenzstufe III für Abiturienten“ beschreibt.xi Etliche A- und D-Aufgaben gehören zur gleichzeitig getesteten naturwissen- schaftlichen Grundbildung und nicht zum Mathematik-Test. Nur der Kuriosität halber sei folgende erwähnt: D3. Josef hat sich eine Grippe geholt. Schreiben Sie eine Möglichkeit auf, wie er sie bekommen haben könnte. Ob das nicht sogar Grundschüler können sollten (im Märchen fast das ganze Volk), sofern sie nur das Wort „Grippe“ kennen, das notfalls ja auch durch „Schnupfen“ ersetzt werden könnte? Das ist bei Abiturienten selbst bei wohl- wollender Betrachtung unter Niveau. Intelligente Schülerinnen und Schüler werden darüber gnadenlos spotten („für wie doof halten die uns eigentlich?“). Also auch das Mogeln im Märchen hat seine reale Entsprechung. Tatsächlich sind sämtliche Aufgaben der mathematischen Grundbildung auch in den Stoff- plänen der Haupt- und Realschule enthaltenxii (in den 1990er Jahren sogar noch sicherer als heute).  „Kern des voruniversitären Mathematikcurriculums“ Jetzt kommen wir zur sogenannten „voruniversitären Mathematik“, mit der die Teilnehmer aus den beruflichen Bildungsgängen bei TIMSS gar nicht mehr behelligt wurden. Es geht um den im TIMSS-Berichtxiii wörtlich so bezeichneten „Kern des voruniversitären Mathematikcurriculums“, also Zahlen, Gleichun- gen, Funktionen, Analysis, Geometrie. Es heißt allerdings einschränkend: „Die Mathematikaufgaben sind weniger komplex als typische Abituraufgaben in Deutschland.“ Wohl wahr! Im Vorspann heißt es auf Seite 12 vollmundig dazu: „Passend zu dem Ziel, sich eng an die Curricula der Schulfächer anzulehnen, nehmen Aufgaben, die Wissen und Anwendung von Standardroutinen bein- halten, einen breiten Raum ein. Gleichgewichtig wurden in der voruniversitä- ren Mathematik Aufgaben eingesetzt, die in der internationalen Klassifika- tion als ,investigating and problem solving’ sowie ,mathematical reasoning’ eingestuft wurden. Hier geht es um die Anwendung komplexer Prozeduren und um Problemlöseprozesse, die sich im Unterschied zu den Aufgaben des Grundbildungstests jedoch weit überwiegend auf innermathematische Proble- me beziehen. Ein Spezifikum des Tests zur voruniversitären Mathematik sind schließlich Aufgaben, die mathematische Beweise oder innermathematische Erklärungen erfordern.“ Von „Spezifikum“ kann dabei keine Rede sein: Nur drei von insgesamt 65 TIMSS-Aufgaben zur Mathematik betreffen Beweise oder Aussagenlogik. Tatsächlich ist unter den 36 veröffentlichten voruniversitären Aufgaben nur eine einzige Aufgabe mit einem Beweis zu sehen, und diese betrifft elemen- tare Geometrie der Mittelstufe, sollte also auch in Klasse 7 oder 8 lösbar sein. „Komplexe Prozeduren“ und „Problemlöseprozesse“ gehören inzwischen zur Standard-Phraseologie in solchen Zusammenhängen, auch in offiziellen Bil- dungszielen. Im Bericht zur KESS 12-Studiexiv mit derselben Unterscheidung von mathematischer Grundbildung und voruniversitärer Mathematik formuliert man auf S. 6 sogar einen noch höheren Anspruch:  TIMSS-Bewertung der Schwierigkeit ist abenteuerlich hoch und entspricht offenbar der höchsten Kompetenzstufe „Mit dem Test ,Voruniversitäre Mathematik’ wurden die im Verlaufe der Studienstufe erworbenen Mathematikkenntnisse erfasst. Im Unterschied zur mathematischen Grundbildung ist die Konzeption des voruniversitären Ma- thematiktests ausschließlich auf fachimmanente schulische Kompetenzen aus- gerichtet.“ Das kann man nur so verstehen, dass die voruniversitäre Mathematik die der gymnasialen Oberstufe ist. Die Studienstufe ist in Hamburg das, was früher als „Oberstufe“ bezeichnet wurde, also die letzten zwei oder drei Schuljahre vor

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