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ProPhil_16_02

9 2-2016 öffentlichen. Aber weil im Reich eine gewisse Furcht vor dem Zorn des Königs herrschte und weil die Hohepriester eine große Macht im Staate erlangt hat- ten, war dies gar nicht einfach. Ein gewisses Publikations- und Zitier-Kartell der Didaktiker jedenfalls tat alles, um eine Veröffentlichung zu verhindern, und zwar mit der Begründung, das sei einfach nicht wissenschaftlich. Wissen- schaftlich sei nur die offizielle Auswertung der Tests, politisch korrekt und mit den richtigen und von der königlichen Zensur zertifizierten Vokabeln. Sofort wurden Internet-Seiten abgeschaltet, auf denen man Genaueres zu den Auf- gaben lesen konnte. Einige Juristen bemühten sich sogar, aus älteren gesetzli- chen Vorschriften abzuleiten, dass Kritik an diesen Aufgaben als Lästerung des Gottes Mammon zu gelten hätte. So gab es Schelte in den regierungsnahen Medien. Und auch in der didaktischen Fachwelt waren etliche der Meinung, eine Kritik an Maßnahmen des Königs würden sich deshalb verbieten, weil man ja künftig wieder Geld für weitere Studien, Kongresse usw. haben wollte. Jetzt stand auch noch die Majestätsbeleidigung als Vorwurf im Raum. Das rief plötzlich die Hofschranzen auf den Plan, die um ihren Einfluss fürchteten. Und selbstverständlich wurden auch die höheren Bürokraten der Schulverwaltung unruhig (allen voran deren Chef namens „Krähe“), denn sie hatten doch im- mer versichert, wie hoch das Niveau des Abiturs im Reich war, und das trotz einer immer weiter steigenden Abiturquote. Jetzt drohte ihnen womöglich Ungemach durch die noch höheren Hofschranzen und Regierungsmitglieder. In dieser kritischen Situation rief der König seine Getreuen zu sich im so ge- nannten ,Rat der nationalen Sicherheit’, um das weitere Vorgehen zu beraten. Und man beschloss, die ganze Sache einfach systematisch totzuschweigen. Die Medien wurden angewiesen, gar nicht darüber zu berichten, sondern wei- tere Meldungen über den Fortschritt durch die empirische Bildungsreligion zu verkünden. Das traf sich gut: Gerade konnte man über die Ergebnisse der neu- esten VERONA-Studie berichten, die auch ökonomisch gesehen große Erfolge der Bildungspolitik im Reich versprach. Ein Interview mit dem Obersten der Hohepriester sollte dem Volk versichern, dass alles in bester Ordnung ist, und im Fernsehen wurde eine große Zeremonie für den Gott Mammon übertragen. So geschah es, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch. Der Paradigmenwechsel im Mathematikunterricht und in der Lehrerausbildung ist ja in der fachdidaktischen Literatur hinlänglich oft postuliert wordenxviii , ein Zuwachs an PISA-Punkten wird von manchem (ohne Märchen oder Satire) in volkswirtschaftliche Euro-Milliarden umgerechnetxix , und auch die Medi- enschelte im Märchen hat eine Entsprechungxx , wenngleich es dort um Abi- turaufgaben und nicht um einen Test geht (kritische Stellungnahmen zu den TIMSS-Aufgaben scheint es in den Medien gar nicht zu geben). Somit ist das obige Märchen gar nicht so weit von der Realität weg wie man auf den ersten Blick denken mag. Die Diskussionsbeiträge des Volkes im Internetforum zu dieser Medienschelte zeigen interessante Kontraste zur offiziellen Bildungspo- litik. Das Volk lässt sich keine Märchen über die Schulreformen mehr erzählen. Je mehr Behauptungen in offener Diskussion als Märchen entlarvt werden, desto besser. Nachdruck aus Profil 4/2016 LITERATUR: J. Baumert, W. Bos, E. Klieme, R. Lehmann, M. Lehrke, I. Hosenfeld, J. Neubrand, R. Watermann (1999): Testaufgaben zu TIMSS/III, Materialien aus der Bildungsforschung Band 62, Max-Planck- Institut für Bildungsforschung, Berlin, ISSN 0173-3842 J. Baumert (2001): Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, Vortrag bei „McKinsey bil- det“, Köln P. Bender (2005): Die etwas andere Sicht auf PISA, TIMSS und IGLU,Der Mathematikunterricht 51, 36-57, siehe auch: http://lama.uni-paderborn.de/personen/prof-dr-bender/veroeffentlichungen.html R.Danckwerts, S.Prediger, E.Vasarhelyi (2004): Perspektiven der universitären Lehrerausbildung im Fach Mathematik für die Sekundarstufen, Mitteilungen der Deutschen Mathematikervereinigung (DMV) Band 12 Heft 2, S. 48–49, siehe auch: http://www.mathematik.uni-dortmund.de/prediger/veroeff/04-dmv-lehrerbildung-danckwerts-et-al.pdf J.Henze, W.Bos, A.Voss, B.Xu (2004): Vergleichende Einschätzung zur Qualität von Absolventen an chinesischen und deutschen (allgemeinbildenden) Schulen der Sekundarstufe II, Berlin, siehe auch: http://www2.hu-berlin.de/aks/PDF/Bos.pdf T. Jahnke, H. P. Klein, W. Kühnel, T. Sonar, M. Spindler (2014): Die Hamburger Abituraufgaben im Fach Mathematik – Entwicklung von 2005 bis 2013, Mitteilungen der Deutschen Mathemati- ker-Vereinigung (DMV) Band 22 Heft 2, S. 115-121, siehe auch: https://www.mathematik.de/ger/presse/ausdenmitteilungen/ausdenmitteilungen.html H. P. Klein, T. Jahnke, W. Kühnel, T. Sonar, M. Spindler (2013): Sind Hamburgs Abiturienten ma- thematisch und naturwissenschaftlich klüger geworden? Nach welchen Maßstäben übertrifft das achtjährige Gymnasium das neunjährige? Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik 89-4, S. 627–648. K. Maaß (2011): Mathematisches Modellieren in der Grundschule, Handreichungen des Programms SINUS an Grundschulen, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), ISBN 976-3-89088-219-2, siehe auch: http://www.sinus-an-grundschulen.de/fileadmin/uploads/ Material_aus_SGS/Handreichung_Maass_2011-2.pdf S. Serin (2010): Föhn mich nicht zu, Rowohlt, siehe auch: http://www.rowohlt.de/fm/131/Serin_Foehn_mich.pdf, Seite 30 http://madipedia.de/images/8/81/1998_05a.pdf http://www.zeit.de/1998/22/timms.txt.19980520.xml/ http://bildungsverlauf.de/fileadmin/downloads/bsb-kess-12-zusammenfassung.pdf https://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_maschinenwesen/itla/ arbeitswissenschaft/studium/anderestudiengaenge http://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Presse/imported/downloads/ xcms_bst_dms_30242_31113_2.pdf http://www.zeit.de/2014/18/hh-abiturpruefung Autorenangaben: Wolfgang Kühnel, Fachbereich Mathematik, Universität Stuttgart http://www.igt.uni-stuttgart.de/LstDiffgeo/ Kuehnel/ Fußnoten: i http://madipedia.de/images/8/81/1998_ 05a.pdf ii Baumert et al. 1999 iii Jahnke et al. 2014, Klein et al. 2013 iv Baumert et al. 1999 v Klein et al. 2013 vi http://www.zeit.de/1998/22/timms. txt.19980520.xml/ vii Baumert et al. 1999 viii vgl. die Kritik dieser Aufgabe in: Bender 2005 ix Baumert 2001 x Maaß 2011 xi Vielleicht müsste auch einmal die (ziemlich kostenintensive) empirische Bildungs- wissenschaft selbst auf den Prüfstand gestellt werden, wie so vieles andere auch. Irgend- etwas scheint aus dem Ruder gelaufen zu sein, zumindest hinsichtlich einer Terminologie, die viel verspricht und wenig hält. xii Klein et al. 2013 xiii Baumert et al. 1999 xiv http://bildungsverlauf.de/fileadmin/downloads/ bsb-kess-12-zusammenfassung.pdf xv Henze et al. 2004; Abb. 9 xvi Serin 2010 xvii https://tu-dresden.de/die_tu_dresden/ fakultaeten/fakultaet_maschinenwesen/itla/ arbeitswissenschaft/studium/ anderestudiengaenge xviii Danckwerts et al. 2004 xix http://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/ files/BSt/Presse/imported/downloads/xcms_ bst_dms_30242_31113_2.pdf xx http://www.zeit.de/2014/18/hh- abiturpruefung

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