10 1-2016 Studierfähigkeit der Abiturienten – An Basics fehlt’s? Unter diesem Motto trafen sich Ende November 2015 Mitglieder unseres Verbandes mit Vertre- tern der Technischen Universität Chemnitz zum Bildungspolitischen Kolloquium, um in Bezug auf die Studierfähigkeit von Abiturienten Probleme und Herausforderungen innerhalb der verschiede- nen Fächer bzw. Fachbereiche zu identifizieren und erste Lösungsansätze zu formulieren. Die Schnitt- stelle Abitur/Studium wird schon seit längerer Zeit kontrovers und zunehmend häufiger auch offen diskutiert, die dabei erkannten Probleme jedoch selten durch konkret fassbare, praxisnahe Ansätze gelöst. Ein Hinderungsgrund ist sicher das auto- nome Agieren der Bildungsstätten – Gymnasium und Universität. Aber beide Seiten beklagen einen Zwiespalt zwischen Anspruch und Realität, eine Kluft zwischen dem Abitur und den Anforderungen der Hochschulen. Betroffen sind jedoch besonders die Studienan- fänger: Einige von ihnen haben in Sachsen eine gymnasiale Ausbildung durchlaufen, erfolgreich das Abitur abgelegt und scheitern dennoch in den ersten Semestern an den Hochschulen: Wurden sie schlecht beraten und wählten die falsche Fachrich- tung? Oder fehlen ihnen wirklich Grundlagen, um den vielfältigen Anforderungen eines Studiums ge- wachsen zu sein? Über welche Kenntnisse und Fä- higkeiten verfügen Absolventen sächsischer Gym- nasien? Welche setzen die Hochschulen voraus? Wird Studierfähigkeit unterschiedlich definiert? Welche Kompetenzen sind für ein erfolgreiches Studium wirklich unabdingbar? In seinem einleitenden Vortrag bezeichnete Herr Professor Dr. Winfried Thielmann, Professor für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und Prode- kan der Philosophischen Fakultät der TU Chem- nitz, die Schnittstelle zwischen allgemeiner Hoch- schulreife und Studierfähigkeit mit Blick auf die sprachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Stu- dienanfänger skeptisch als „ein Vakuum, das es zu befüllen gilt.“ Anhand von Beispielen verdeut- lichte er, dass fächerübergreifend massive Probleme im sprachlichen Bereich bestehen, wobei er sich auf Muttersprachler bezog und aus- führte: „Aber wir Hochschullehrer können schlicht und ergreifend keine Universität machen, wenn wir nicht verstanden werden, wenn wir uns über Gegenstände äußern, und wenn die Texte nicht verstanden werden, in denen von Gegenständen – eben nicht mehr affirmativ, wie in Schulbüchern, sondern fragend, kontrovers und argumentierend, wie es der Wissenschaft entspricht –, die Rede ist.“ In Bezug auf die sprachliche Bildung, die doch „eigentlich die [...] Grundvoraussetzung für ein Hochschulstudium ist“, konstatierte Professor Dr. Thielmann: „Die Unfähigkeit, argumentative Strukturen […] in Texten zu erkennen geht mit der Unfähigkeit einher, die sprachlichen Mittel, die mit argumentativen Strukturen einhergehen, funktional einzusetzen. Ferner bestehen bereits Schwierigkeiten im sprachlichen Elementarbereich, nämlich dem Bereich der Präpositionen.“ Dies sei jedoch Ergebnis der von der KMK beschlos- senen Bildungsstandards für das Fach Deutsch: „Die bodenlose Ignoranz sprachlichen Strukturen und ihrer Funktionalität gegenüber, die in den Bil- dungsstandards für die Primarstufe dokumentiert ist, ist nun auch für die Sekundarstufen in einer Weise institutionalisiert, dass es kein Wunder ist, dass Studienanfänger keine Illokutionen erkennen und keine Gedanken formulieren können, da über das hierzu erforderliche sprachliche Handwerks- zeug nie – und wenn überhaupt falsch – nachge- dacht wird.“ Die Teilnehmer in der sich anschließenden Ideen- börse zum wissenschaftlichen Arbeiten und der Wissenschaftssprache konnten viele der getroffenen Aussagen bestätigen. Eine gezielte Reflexion von Sprache, insbesondere der gram- matikalischen Zusammenhänge und Funktionen, findet in den Sekundarstufen nur unzureichend und nicht durchgängig statt. Zu fordern sei, dass die Ausbildung im Lehrplanbereich „Sprache thematisieren“ tiefgründiger und bis zum Abitur erfolgt. Hinterfragt wurde aber auch z. B. die kontinuierliche Korrektur sprachlicher Unzu- länglichkeiten in anderen Fächern. Alle Lehrkräfte sollten dazu befähigt sein und ermutigt werden. In diesem Zusammenhang müsse auch die Eignung der Bewerber für ein Lehramtsstudium und dessen Ausgestaltung hinterfragt werden. Zu überdenken sei außerdem die Praxis beim Erstellen und Bewer- ten von Facharbeiten und Besonderen Lernleistun- gen. Die dabei erzielten Ergebnisse können derzeit – nicht nur aufgrund mangelnder sprachlicher Kompetenz – den Ansprüchen einer wissenschaft- lichen Arbeit oftmals noch nicht gerecht werden. Eine verstärkte Vermittlung von Kulturtechniken, den sicheren Umgang mit traditionellen Medien und Sprache forderten die Vertreter der Ideen- börse zu den Gesellschaftswissenschaften. Kritisch betrachtet wurden insbesondere das Können in den Bereichen Lesen, Hören, Schrei- ben und Sprechen. Es gelte in allen Fächern mit dem Einsatz von Ganzschriften, dem Üben des Mitschreibens und wissenschaftlichen Schreibens, des Darstellens, Präsentierens und Debattierens Unterstützung zu leisten. Die z. T. unzureichende Allgemeinbildung der Schülerinnen und Schüler erschwere zudem die Unterrichtung in Vorbereitung der allgemeinen Hochschulreife. Als Lösungsansätze für Lehrende und Lernende sowohl an den Gymnasien als auch Hochschulen wurden das Modifizieren von Semi- narinhalten durch Medienwechsel und Vorträge, das Schaffen und Nutzen einer Feedbackkultur und der sichere Umgang mit Operatoren benannt. Eine wesentliche Grundvoraussetzung für ein Studium in den Gesellschaftswissenschaften stellt auch das Beherrschen von Fremdsprachen (insbesondere Englisch) dar. Die Diskutanten in der Ideenbörse zu den na- turwissenschaftlichen Fächern waren sich schnell darin einig, dass der Unterricht an den Gymnasien bezüglich der Vorbereitung auf ein Hochschulstudium ein hohes Niveau hat, das den Anforderungen der Universitäten gerecht wird. Schwierigkeiten ergeben sich im Studium meist aufgrund fehlender mathematischer Cornelia Krauße eröffnet die Veranstaltung Prof. Dr. W. Thielmann während seiner Ausführungen 101-2016